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Lernen mit Comics: Auswendiglernen Geschichte sein lassen

Was ist Dein erster Gedanke, wenn Du an Comics denkst? Vielleicht kommen Dir Asterix und Obelix, Donald Duck und Micky Maus oder Superhelden wie Batman in den Sinn. Was das nun aber – bis auf Lesen – mit Lernen zu tun hat, kannst Du mir vermutlich (noch) nicht sagen.

Comics unter die Lupe genommen

Auf den ersten Blick, ist ein Comic eine Abfolge von Bildern, welche im Gesamten eine Geschichte ergeben. Ein Klassiker für eine Bildergeschichte ist beispielsweise „Vater und Sohn“ von Erich Ohser (1903-1944(1)). Ganz ohne Text, bringen diese Geschichten die „Leser:innen“ noch heute zum Schmunzeln.

 

Ein wichtiges Merkmal des Comics ist aber wohl seine Art der Sprache. Ausdrücke wie POW oder BOOM sind ganz im Sinne des Comics kurz und knackig, erzielen aber ohne lange Erklärungen die gewünschte Wirkung. Auch kurze Sprech- und Denkblasen und knappe Erklärungen unter den Bildern leiten die Leser:innen ohne Verständnisprobleme durch die Geschichte.

Comics und Lernen - wo ist der Zusammenhang?

Comics sind einfache und Kindern bekannte Strukturen, welche zur Wissensvermittlung beliebt und effektiv sind (Negrete, 2013). Geschichten sind fest in unserer Kultur verankert (Negrete & Lartigue, 2010), können das Interesse von Kindern sehr stark beeinflussen, regen Fantasie an und lassen Freiraum für Interpretation (Negrete & Lartigue, 2004). Textbücher hingegen, lassen keinen Interpretationsspielraum zu (Negrete & Lartigue, 2004).

 

Einfache Strukturen, welche aber genügend Raum für die eigene Fantasie und Interpretation bieten – ist das nicht genau das, was Kinder zu freiem Denken anregt? Sollte das nicht das Ziel und auch die Aufgabe von Schule sein?

 

Für eine eigene Meinungsbildung und auch für eventuelle Verhaltensänderungen, sei es nach Negrete (2013) entscheidend, vertraute Alltagssprache zu nutzen. Demnach bietet das Medium Comic die Chance Information auch jenen zu vermitteln, welche teils hochkomplexe schriftliche Informationen nicht verstehen können. Neben bildungsfernen Schichten (Negrete, 2013) sind dies auch Schüler:innen.

 

Lernende, welche mit einem Thema nicht vertraut sind, lenken ihre Aufmerksamkeit eher auf Bilder als auf Texte (Peeck, 1993). Schüler:innen, mit zu Beginn wenig Expertise in einem Themengebiet, könnten mit Hilfe von Bildern besser erreicht und im Lernprozess unterstützt werden.

 

Der Einsatz von Comics als Lehrmaterial, bietet Möglichkeiten Schüler zu motivieren (Negrete und Lartigue, 2004) und bisher langweilig präsentiertes Wissen (Negrete & Lartigue, 2004) aus einer neuen Perspektive zu sehen. Wissen kann somit korrekt, attraktiv, fantasievoll und einprägsam (Negrete und Lartigue, 2004) vermittelt werden.

Herausforderungen von Schüler:innen

Werfen wir nun einen Blick auf die Anforderungen der Schule an die Kinder: Gute Schüler:innen sind fleißig, motiviert, lernen gut und können das Gelernte in den Klassenarbeiten auch gut abrufen. Mit meiner Lerncoaching-Brille auf der Nase, stellt sich mir dabei wieder die Frage nach dem „wie“. Wie wird der Lernstoff vermittelt und wie wird er anschließend gelernt?

 

Information wird zwar kommuniziert, oft aber über für den Empfänger ungeeignete Kommunikationskanäle und mit fehlender Kontrolle, ob die Information auch verstanden wurde (Negrete, 2013). Bildlich gesprochen ist dies wie bei einem Trichter (2) bei welchem oben fleißig Informationen eingegeben werden, das daraus entstehende Ergebnis aber nicht kontrolliert wird. Untersuchungen von Negrete und Lartigue (2010) zeigten, dass die Erinnerung bei Informationsvermittlung durch Fakten mit der Zeit abnahm, durch Geschichten jedoch konstant blieb. Demnach wird nachhaltiges Wissen besser über Verknüpfungen wie beispielsweise Geschichten erzielt, statt über klassisches Auswendiglernen.

 

Warum an Schulen oft weiterhin am sturen Auswendiglernen festgehalten wird, ist mir ein Rätsel! Ob nun Comic oder Märchen, es findet sich für jede Altersklasse eine passende Geschichtenart.

 

 

Comics verknüpfen reine Fakten mit Bildern und einer zusammenhängenden Geschichte (Negrete, 2013) an deren Reihenfolge sich für den Abruf orientiert werden kann (Negrete & Lartigue, 2004). Somit werden nicht nur einzelne Fakten gelernt, sondern Lernende können sich ganze Zusammenhänge anhand einer Geschichte herleiten.

 

Sei das nun die Abfolge unserer Bundeskanzler für den Geschichtsunterricht, die Reihenfolge biologischer Prozesse oder das Alphabet bei den ganz Kleinen. Einfache und bekannte Strukturen sind beliebt und effektiv; Wissensvermittlung muss also nicht kompliziert sein (Negrete, 2013).

 

Bei einigen Themen, wie beispielsweise dem Wasserkreislauf (3) im Biologieunterricht, wird zusammenhängendes Faktenlernen anhand einer Reihenfolge bereits gut umgesetzt. Wer sich dazu noch eine kleine Geschichte einfallen lässt, kann sich die Abfolge gut merken. Diese Strategie sollte in Schule öfter eingesetzt werden. Klar, für komplexere Themen braucht es Kreativität. Für diese Methode sind nicht alle Fakten so intuitiv integrierbar wie ein Wasserkreislauf. Trau´ Dich! Übung macht bekannterweise den Meister :)

 

Das war nun alles sehr wissenschaftlich und theoretisch. Schauen wir uns einmal ein Beispiel in der Praxis an. Ich unterstütze nun schon einige Monate einen Psychologiestudenten bei seiner Vorbereitung auf die Prüfung biologische Psychologie.

 

Biologische Psychologie ist spannend, lässt aber schon vermuten, dass dabei einige eklige Begriffe zu lernen sind. Wer hier einfach nur auswendig lernt, hat in der Prüfung schnell verloren. Diese Menge an Stoff kann das Gehirn in auswendiggelernter Form einfach nicht behalten, geschweige denn in einer Prüfungssituation unter Zeitdruck abrufen. Eine hirngerechte Lösung musste also her.

 

Das Ziel:

  • Der Lernstoff muss möglichst komplett behalten werden und auch unter Stress abrufbar sein
  • Auch komplexe Zusammenhänge müssen mit den richtigen Fachbegriffen behalten werden. Die Begriffe sollten also nicht einzeln, sondern in ihrer Zusammengehörigkeit gelernt werden.

Die Lösung: Eine Geschichte, neudeutsch auch als Storytelling bekannt

Beispiel: der Aufbau der Amygdala

Ein Junge namens Zentro studiert etwas mit Medien (= zentromedial). Er läuft vom Busbahnhof (ZOB) zu seinem Onkel Olf (=olfaktorisch ). Dieser wohnt mit Zentros Tante (Tante = Synonym Base) neben einer Straßenlaterne (lateral) (à basolateral).

 

Siehst Du bildlich vor Dir, wie Zentro seinen Onkel und seine Tante besucht? Diese Geschichte wirst Du so schnell nicht mehr los :)

 

Besagter Psychologiestudent konnte sich diese Geschichte auch gut merken. Wie seine Prüfung schlussendlich lief und ob sich diese Art von Lernen gelohnt hat, das erfährst Du hier.

Visuell lernen – Aber warum eigentlich?

Der visual dominance Effekt beschreibt das Phänomen, dass visuelle Information andere Sinnesmodalitäten sowohl in der Wahrnehmung, in der Erinnerung wie auch in der Reaktionszeit dominiert (Posner, Nissen, Klein, 1976) – was will man mehr in einer Prüfung? Bildlich dargestellte Information wird dementsprechend bevorzugt verarbeitet.

 

Nun denkst Du vielleicht an diese bekannten Lerntypen (4); visuell, auditiv, etc. Ich muss sagen, davon halte ich nicht viel. Die dazugehörigen Tests bewerten wohl den Großteil der Personen als „visuellen Typ“. Wenn ich mir anschaue, wie unsere Gesellschaft auf visueller Information basiert, wundert mich das nicht. Visuelle Information verschafft einen schnelleren Überblick (Ibrahim et al., 2017) und ist eine bekannte, viel angewendete Struktur, dazu muss man kein „Typ“ sein.

 

Ein Gutes haben diese „Typen“ aber doch: Wenn man sich nicht einen einzelnen herauspickt, sondern die verschiedenen Dimensionen gut kombiniert, können diese zu einem wahren Wunder-Cocktail werden. In der Psychologie wurde schon oft bewiesen, dass Mehrdimensionalität die Abrufwahrscheinlichkeit erhöht. Je mehr Dimensionen sinnvoll verknüpft werden, desto höher die Abrufwahrscheinlichkeit.

 

Forscher sind sich heute mehr und mehr einig, dass Visualisierungen die Erinnerung an Informationen verbessern (Gloviczki und Lawrence, 2018). Bilder, welche vor einem Text präsentiert werden, helfen Vorwissen zu aktivieren, Aufmerksamkeit auf Relevantes zu fokussieren und ein System vorzubereiten, um die folgende Information in Textform besser einordnen zu können (Peeck, 1993).

 

Auch Eitel, Scheiter, Schüler, Nyström und Holmqvist (2013) konnten zeigen, dass Lernende, welche vor dem Lesen eines Textes ein entsprechendes Bild präsentiert bekommen, den folgenden Text effizienter verarbeiten können als Lernende, welche nur den Text lesen. Die Autoren erklären dies durch ein mental erstelltes Gerüst, welches bei der Informationsverarbeitung hilfreich ist. Das Zusammenspiel zwischen Text und Bild ist dafür bereits in einem frühen Stadium des Lernprozesses zu finden.

 

In der Praxis erwartet sicher keiner, dass Lehrer:innen für ihren Unterricht professionelle Comics zeichnen - wer hier nun doch ein unentdecktes Talent findet, darf mir gerne berichten. Jedoch gibt es tolle Designvorlagen für Infographiken. Hier beispielsweise zur Steinzeit. Was ich an der Vorlage(5) besonders mag: Sie verpackt - ganz hirngerecht - exakt sieben Informationen. 

Zusammenfassung

Ob nun ein Comic mit Superhelden oder eine Bildgeschichte wie "Vater und Sohn" von Erich Ohser, Geschichten kommunizieren mit einfacher Sprache und bekannten Strukturen. Besonders für Lernende, welche gerade mit einem neuen, noch unbekanntem Thema beginnen, eignet sich diese Art der Informationsvermittlung. Dabei wird sowohl die Fantasie als auch die eigene Meinungsbildung unterstützt. Mit Hilfe von Geschichten, kann dazu die Motivation gesteigert werden. Bei den Lernenden zeigt sich eine bessere Erinnerung und eine bessere Verknüpfung einzelner Fakten. Auch Abfolgen und Zusammenhänge von Informationen können durch das Lernen mit Geschichten besser behalten werden.  

Das mühsame, langweilige und ineffiziente Faktenlernen (Negrete & Lartigue, 2004) könnte mit Geschichten Geschichte sein.

Deine Schlaumeierin

Und Dein Kind?

Hält Dein Kind weiter am Auswendiglernen fest? Lernen mit Comics und Storytelling ist eins meiner Steckenpferde. Klar, dass das auch bei meinem Online-Workshop nicht fehlen darf. Schau´ doch mal vorbei :) Der nächste Workshop startet im Februar.

Quellenangabe:

1 Geburts- und Todesdatum von Erich Ohser aus https://e.o.plauen.de/biografie/

2 Trichter von "https://de.freepik.com/vektoren/geschaeft" Geschäft Vektor erstellt von freepik - de.freepik.com

3 Wasserkreislauf von "https://de.freepik.com/vektoren/wasser" Wasser Vektor erstellt von brgfx - de.freepik.com

4 Infografik 5 Sinne von "https://de.freepik.com/vektoren/hintergrund" Hintergrund Vektor erstellt von macrovector - de.freepik.com

5 Infografik Steinzeit von "https://de.freepik.com/vektoren/hintergrund" Hintergrund Vektor erstellt von macrovector - de.freepik.com


Literaturverzeichnis:

 

Eitel, Alexander; Scheiter, Katharina; Schüler, Anne; Nyström, Marcus; Holmqvist, Kenneth (2013): How a picture facilitates the process of learning from text. Evidence for scaffolding. In: Learning and Instruction 28, S. 48–63. DOI: 10.1016/j.learninstruc.2013.05.002.

 

Gloviczki, Peter; Lawrence, Peter F. (2018): Visual abstracts bring key message of scientific research. In: Journal of vascular surgery 67 (5), S. 1319–1320. DOI: 10.1016/j.jvs.2018.04.003.

 

Ibrahim, Andrew M.; Lillemoe, Keith D.; Klingensmith, Mary E.; Dimick, Justin B. (2017): Visual Abstracts to Disseminate Research on Social Media. A Prospective, Case-control Crossover Study. In: Annals of surgery 266 (6), e46-e48. DOI: 10.1097/SLA.0000000000002277.

 

Negrete, Aquiles (2013). Constructing A Comic To Communicate Scientific Information About Sustainable Development And Natural Resources In Mexico. Procedia-Social and Behavioral Sciences, 103, 200-209. DOI: 10.1016/j.sbspro.2013.10.327.

 

Negrete, A., & Lartigue, C. (2004). Learning from education to communicate science as a good story. Endeavour, 28(3), 120-124. DOI: 10.1016/j.endeavour.2004.07.003.

 

Negrete, A., & Lartigue, C. (2010). The science of telling stories: Evaluating science communication via narratives (RIRC method). Journal of Media and communication studies, 2(4), 98.

 

Peeck, J.: Increasing picture effects in learning from illustrated text. In: Learning and Instruction 1993 (3(3)), S. 227–238.

 

Posner, Michael I.; Nissen, Mary J.; Klein, Raymond M. (1976): Visual dominance. An information-processing account of its origins and significance. In: Psychological Review 83 (2), S. 157–171. DOI: 10.1037/0033-295X.83.2.157.

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Kommentare: 1
  • #1

    Eliza Summer (Dienstag, 13 Oktober 2020 13:43)

    Das stimmt, Geschichten können großartig zum lernen sein. Und besser als stur auswendig lernen ist es auf jeden Fall.

    LG Eliza
    elizasummer-blog.de